Bahnreisen – die andere Art des Reisens
Einen Gang herunterschalten
Wer mit der Bahn in den Urlaub fährt, lässt den Alltag schon gleich mit der Abfahrt hinter sich. Keine lästigen Staus erwarten ihn da, keine quengelnden Kinder auf dem Rücksitz, keine überfüllten Raststätten. Setzt sich der Zug in Bewegung, fährt die Entspannung mit: Reisende können sich gemütlich in die Sitzkissen der Abteile lehnen, den Blick aus dem Fenster schweifen lassen. Dort gleitet die Landschaft schnell oder gemächlich – je nach dem – an ihnen vorbei. Sie fahren und müssen doch selber gar nichts machen. Im Gegenteil: Wer müde ist, macht ein Nickerchen. Wer hungrig ist, geht ins Bordrestaurant oder greift zum Proviantkorb.
Urlaub ab Kilometer Eins
Wer es da schafft, innerlich einen Gang herunterzuschalten, wer erkennt, dass es vorwärts geht, auch ohne hektisch aufs Gaspedal zu drücken, der ist bereits ab Kilometer Eins im Urlaub angekommen. Dabei geht es im Zug nicht nur um die viel gepriesene Entdeckung der Langsamkeit – schließlich fliegen moderne Züge mitunter richtig schnell durch die Lande. Es geht darum, die Verantwortung für die Geschwindigkeit, für das Vorwärtskommen abzugeben. Es geht darum, den Moment zu genießen. Und sich richtig wohl zu fühlen.
Der Weg ist das Ziel
Auf solchen Bahnfahrten ist nicht die Endstation das Ziel, es ist der Weg dorthin. Denn unterwegs öffnen sich die Augen für neue Eindrücke. Die gibt es nämlich zum Zugticket gratis dazu: Wer sich Zeit lässt, der kann das Land, das er durchreist, wahrnehmen, er kann es riechen, fühlen und schmecken. Selbst wenn das „nur“ ein anderes Bundesland in Deutschland ist. Er beobachtet die Menschen am Bahnhof. Hört, wie sie sprechen, und kommt am Ende selbst mit ihnen ins Gespräch.
Tibetbahn
Auf Schienen durch das Dach der Welt
Eine weitere Bahnfahrt, die einen zu einem grandiosen Stück Erde führt, ist die Tibetbahn nach Lhasa. Sie verbindet die chinesische Stadt Xining und Lhasa, die Hauptstadt von Tibet, und durchquert dabei nichts Geringeres als den Himalaja, das „Dach der Welt“. Kein Wunder also, dass es auf der rund 2000 Kilometer langen Strecke durch das höchste Gebirge der Erde von Rekorden nur so wimmelt: Die Tibetbahn passiert den höchsten Bahnhof der Welt, fährt durch den höchsten Tunnel der Welt, und knapp die Hälfte der Strecke verläuft in mehr als 4000 Metern über dem Meeresspiegel. Das macht die Strecke noch vor der Andenbahn zur höchsten Strecke der Welt.
Erhabene Bergewelt durchs Abteilfenster
Alle Rekorde aber verblassen vor dem erhabenen Naturschauspiel, das sich vor den Reisenden ausbreitet. Weite Täler, karge Berge, Yakherden, Gletscher und hohe Gipfel. Wer in Peking eingestiegen ist, hat nach rund 48 Stunden und vielen atemberaubenden Ausblicken sein Ziel erreicht: die legendäre Stadt Lhasa – was in der tibetischen Sprache „Götterort“ bedeutet.
Übrigens: Von Juli bis Ende September ist in Tibet Regenzeit. Deshalb ist der Dezember eine gute Reisezeit für die Tibetbahn: Es ist zwar kalt, vor allem nachts. Der Ausblick auf die grandiose Bergwelt ist durch Wolken nicht getrübt. Ein weiteres Plus für den Dezember: Das tibetanische Neujahresfest ist das wichtigste Fest im Jahreslauf der Tibeter. Ein Tipp für Reisende: Einen „Soft-Sleeper“ buchen und Snacks und Teebeutel mitnehmen. Die Verpflegung im Zug ist bisweilen rustikal. Dennoch ist der Zug klimatisiert und mit einem Druckausgleich gegen die Höhenkrankheit ausgestattet.
Canadian Express
Bahnfahrten in der Neuen Welt
Auch durch den amerikanischen Kontinent ziehen sich Schienenstränge – und traditionelle noch dazu. Schließlich war es die Bahn, die den „Wilden Westen“ Kanadas im 19. Jahrhundert erschlossen hat. Der Route von Ost nach West kann man heute noch nachfahren. Der Canadian Express verbindet Toronto am Atlantik mit Vancouver und fährt dabei in drei Tagen 4500 Kilometer.
Atemberaubende Ausblicke aus dem Abteilfenster garantiert: Der Zug fährt erst an den viele Seen in Ontario vorbei, dann über weite Prärien und Wälder, kreuzt die Berge und kommt schließlich am Pazifik an sein Ziel. Landschaftsliebhaber übrigens buchen die Zugstrecken nur tagsüber und übernachten in Hotels. So verschlafen sie die schönsten Ansichten und Ausblicke nicht. Dann dauert die Fahrt allerdings entsprechend länger.
Rocky Montaineer
Panoramafenster mit Blick auf Adler und Pumas
Wer dann noch nicht genug hat von den gut ausgestatteten kanadischen Zügen, kann in Vancouver direkt in den „Rocky Mountaineer“ umsteigen. Auf den drei verschiedenen Strecken (auf zwei Tagesetappen aufgeteilt) können eigens Sitze in so genannten „Dome“-Waggons reserviert werden. Sie haben Abteile mit nach oben gezogenen Fenstern, sodass einem die Schönheiten der Landschaft nicht entgehen – schließlich sind die Berge hoch, der Blick will automatisch nach oben wandern. Wer dann Glück hat, kann da manchen Adler über sich kreisen sehen.
Achtung: Der Mountaineer ist ein touristischer Zug und verkehrt nur in der Reisesaison und auch dann nicht täglich. Tickets werden in zwei Komfortklassen angeboten, der Red Leaf und der Gold Leaf-Klasse. Wer gut englisch kann, sollte sich mit seinem Zugbegleiter, dem Steward, anfreunden. Oftmals lieben die ihr Land und bringen einem die Highlights der Strecke näher. Empfehlenswerte Zeit für die Strecken ist der Herbst, wenn sich die Blätter der Bäume färben.
Transsibirische Eisenbahn
Unendliche Weiten
Für viele Menschen ist eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn – der Transsib – ein Kindheitstraum. Mit ihr die Kontinente zu durchkreuzen, ist für sie der Himmel auf Erden. Sie wollen die Weite erleben, wollen endlose Wälder sehen, einsame Berge und Seen. Sie wollen spüren, wie groß die Erde ist. Auf der Transsib geht das. Sie ist die längste Eisenbahnstrecke der Welt. Wer in Moskau steht und an den Schienen nach Osten blickt, der schaut direkt auf den Pazifik. Fast 10 000 Kilometer entfernt und doch durch den eisernen Strang verbunden. Die Transsib verbindet wie eine pulsierende Ader Europa und Asien. Bevor der legendäre und traditionelle Zug – eine Reise von Moskau an den Pazifik dauert gut sechs Tage – auf die Zielgerade im fernen Osten einbiegt, fährt sie am Baikalsee entlang.
Atemberaubende Natur
Der tiefste (zirka 1600 Meter) und älteste (25 Millionen Jahre) Süßwassersee der Welt ist als „russisches Galapagos“ sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt worden. Der Baikalsee und seine Region werden derzeit touristisch erschlossen: Es sind dort „Tourismuszonen“ eingerichtet worden, ein Wanderweg rund um den See entsteht gerade.
Übrigens: Selbst von Deutschland aus kann man sozusagen direkt in die „Transsib“ einsteigen und am Baikal wieder aussteigen: Von Berlin fahren zwei direkte Züge. Der eine endet in Irkutsk, keine 50 Kilometer vom Baikalsee entfernt. Der andere fährt an der südlichen Küste des Baikalsees entlang weiter bis nach Wladiwostok. Wer sich das Essen direkt bei Verkäuferinnen auf dem Bahnsteig kauft und nicht im Kiosk oder Zug, kann Geld sparen und Land und Leute direkt erleben.
Buchtipps zu Bahnreisen
Traumreisen mit der Eisenbahn
Der Autor Horst Dieter Ebert, geboren im Jahr 1944, arbeitet nach Stationen bei der Süddeutschen Zeitung, dem „Spiegel“ und als Chefredakteur des „Feinschmecker“ als freier Journalist. So schreibt er heute für verschiedene Magazine von Reisen und fremden Ländern. Im Fall des vorliegenden Buches „Traumreisen mit der Eisenbahn – die berühmtesten Züge, die schönsten Strecken“ handelt es sich um ein außerordentlich ansprechendes Exemplar, dass nicht nur aussagekräftige Bilder zeigt, sondern auch von faszinierenden Kulturen und kuriosen Begegnungen am Rande der befahrenen Strecken erzählt.
Orient Express und Royal Scotsman
Glamourös-nostalgisch sind diese Luxuszüge mit klingenden Namen wie dem „Orient-Express“ oder dem „Royal Scotsman“, aber auch farbenprächtig wie die Maharaja-Züge in Indien. Landschaftliche Besonderheiten bieten die Strecken durch Australien und Alaska, Russland und Patagonien und führen die Zuginsassen immer wieder über alpine Höhenzüge und vorbei an abgrundtiefen Schluchten.
Großformatige Bilder in den Ausmaßen 36,6 x 29,8 cm beschreiben eindrucksvoll die Schienenwege all dieser Traumzüge, die die Welt durchqueren.
Hier findet sich nicht nur Eisenbahnnostalgie pur sondern auch Zugmaschinen der Jetztzeit auf ihren schönsten Reiserouten. Insgesamt zwanzig der spektakulärsten Züge und Schienenstrecken werden vom Autor und seinem Team, verbunden mit spannenden Geschichten, präsentiert.
Bildreiche Gestalten
Und die Autorenkommentare sind es, die zusätzlich zu den herrlichen Bildern auch einen weiteren Anreiz des Buches ausmachen, denn Ebert war Passagier fast all dieser Züge und beschreibt unter anderem die flammend rote Heide Schottlands, frisch leuchtende grüne Matten und finstere Tannenwäldern so lebendig, dass auch seine Worte zu bildreichen Gestalten werden.
Andere Autoren lässt er von teils witzigen bis skurrilen Reiseerlebnissen berichten, wie Nicole Prestle aus Russland, Hubert Stadler von der Nariz del Diabolo – der Teufelsnase in Ecuador – oder in der Beschreibung Alaskas von Sylvia Lott. Und obgleich es hier selten in gewohntem Reisetempo über die Schienen geht, merkt man, dass bei den Reisenden keine Ermüdungserscheinungen oder Langeweile aufkommt, denn genau um eins geht es bei diesen Reisestrecken eben nicht: Um Geschwindigkeit.
Diese Kombination von unterschiedlichen Ansichten und Eindrücken in Wort und Bild machen Eberts Prachtband zu einem Muss für alle Eisenbahnliebhaber. Dabei findet endlich auch einmal das Zugpersonal Einzug in die Reiseliteratur und hat somit ihren Anteil an den Traumreisen auf den Schienen der Welt. Zusätzlich fehlen auch historische Informationen zu all diesen Zügen nicht.
Eine absolut herzliche Einladung an alle, die sich einmal selbst auf den Weg machen wollen und sich abschließend vielleicht nicht mehr mit der Lektüre dieses Buches zufrieden geben werden. Das Buch ist im Buchhandel und auch online bei Amazon zu finden.